

Wien – wo der „Judenstaat“ formuliert wurde
Wien Graben 1890, Straßenansicht, Vienna, Austria.
Quelle: Wikimedia Commons
Der Zionismus entstand zu einer Zeit des Aufstiegs von rassistischen Nationalismen im ausgehenden 19. Jahrhundert, mit ihrem Suprematismus und Willen zur Vernichtung der Anderen, blankem Kolonialismus und Imperialismus. Herzls Werk, ,,Der Judenstaat”, das er 1896 in Wien verfasste, ist von dieser Erfahrung geprägt. Als Antwort auf den Antisemitismus, imaginierte er, ganz im Geiste der Zeit, einen rein jüdischen Siedler-Staat in Palästina oder Argentinien, als vermeintliche Perspektive einer politischen Emanzipation des Judentums.
Jüdischer Antizionismus: Eine verdrängte Tradition
Doch von Beginn an gab es unter Jüdinnen und Juden Stimmen, die sich gegen den Zionismus wandten – aus religiösen, ethischen oder politischen Gründen. Orthodoxe Bewegungen lehnten den Zionismus als Eingriff in göttliche Vorsehung ab, während säkulare jüdische Sozialist*innen und Universalist*innen ihn als nationalistisch und kolonial kritisierten.
So lehnte etwa der Oberrabbiner Moritz Güdemann Herzls Vision bereits zu dessen Lebzeiten ab, da sie das Judentum von einer Religion in eine nationale Bewegung verwandle. Aus diesen Spannungen heraus wurde der erste zionistische Weltkongress 1897 nicht in Wien, sondern in Basel abgehalten.
Diese vielfältigen antizionistischen Traditionen wurden im 20. Jahrhundert zunehmend marginalisiert, besonders nach der Gründung des Staates Israel 1948. Doch waren sie immer da – und finden angesichts des anhaltenden Völkermords an den Palästinenser:innen nunmehr wieder verstärkt öffentlich Gehör.
Oberrabbiner Moritz Güdemann, Wikipedia




Theodor Herzl, Wikipedia


Theodor-Herzl-Platz, Wien, Österreich
Im historischen Spiegel: Wien 2025 – ein Wendepunkt
150 Jahre nach Herzls Geburt, 128 Jahre nach dem ersten zionistischen Kongress – und 50 Jahre nach der UN-Resolution 3379, die „Zionismus als eine Form von Rassismus“ bezeichnete – versammeln sich bei diesem Kongress Antizionistinnen und Antizionisten, mit und ohne jüdische Wurzeln, um dem zionistischen Narrativ, Israel sei der Garant jüdischen Lebens, entgegenzutreten, um uns zu vernetzen, zu organisieren und den Widerstand gegen den Genozid zu stärken.
Wien ist nicht nur symbolisch bedeutsam, weil Herzl hier seine zionistische Vision entwickelte. Es ist auch der Ort, an dem sich früh Widerstand dagegen regte – etwa durch Rabbiner Moritz Güdemann, der den Zionismus als Verrat an der spirituellen Tiefe des Judentums verurteilte. Später waren es dann viele jüdische Kommunist:innen, die gegen den Nationalsozialismus Widerstand leisteten und gleichzeitig den Zionismus vehement ablehnten.
Die UN-Resolution von 1975, trotz späterer Rücknahme, stellte einen bedeutenden Moment internationaler Kritik dar.
Doch unser Kongress geht darüber hinaus:
Er ist keine diplomatische Geste, sondern Ausdruck eines jüdischen Selbstverständnisses, das auf Ethik, Widerstand und Solidarität gründet.
Im Geiste des Auftrages des Mauthausen-Schwurs, der dazu mahnt, im Sinne des Internationalismus für eine gerechte und freie Welt für alle Völker einzutreten, um Imperialismus, Faschismus und ethnisch begründeten Nationalismus zu überwinden, treffen wir zusammen, um unsere Solidarität mit den Opfern der ethnischen Säuberungen und mit ihrem Widerstand, für ein freies Palästina, zum Ausdruck zu bringen und die Machthabenden der westlichen Länder, die diesen Siedlerkolonialismus ermöglichen, durch unseren kollektiven Protest in die Schranken zu weisen.
Der erste Wiener jüdisch-antizionistische Kongress 2025
Wien ist der Ort, dem der politische Zionismus einst bekanntestes Werk verdankt. Mit dem Kongress zum jüdischen Anti-Zionismus im Juni 2025 soll nun Wien auch zu jenem Ort werden, der den antizionistischen Positionen von Juden und Jüdinnen, öffentlich Gehör verschafft und eine klare Absage an die Vereinnahmung jüdischer Identität zur Rechtfertigung kolonialer Gewalt und gegen die Vereinnahmung des Judentums durch den Zionismus formuliert.


Ein zentrales Element der Legitimation Israels ist die Aneignung und Umdeutung des Antifaschismus. Anstatt nach dem Zweiten Weltkrieg für die Verbrechen der Nationalsozialisten Wiedergutmachung zu leisten, für die Entnazifizierung Sorge zu tragen und ein gleichberechtigtes, sicheres Leben für Juden und Jüdinnen in Europa zu garantieren, unterstützen die europäischen Länder Israel, das als einziger sicherer und legitimer Zufluchtsort für Juden und Jüdinnen vor Antisemitismus inszeniert wurde. Der Siedlerkolonialismus wird als „antifaschistischer Akt“ verkauft. Der Widerstand der Palästinenser:innen gegen Besatzung, Apartheid, Vertreibung und Völkermord wird von Israel und seinen Unterstützer:innen mit dem NS-Terror verglichen und damit der Völkermord legitimiert.
Die universelle Botschaft des Antifaschismus aber, gegen jegliche Form des Imperialismus, des Rassismus und der Unterdrückung einzustehen und für Gleichheit und Demokratie zu kämpfen, wurde und wird in ihr Gegenteil verkehrt und zur Rechtfertigung des rassistischen, kolonialen, ethnisch-nationalistischen Projekts des Zionismus genutzt.
Diese Aneignung des Antifaschismus erlaubt es heute den Regierenden der westlichen Länder, den rechten und linksliberalen, autoritären Strömungen, sich als ,,antifaschistisch” zu verkaufen. Ihre Solidarität mit Israel bürgt offiziell dafür. Unter dem Deckmantel des angeblichen „Kampfes gegen Antisemitismus und Faschismus“ gehen sie gegen oppositionelle Kräfte vor und schaffen neue Feindbilder. Insbesondere Muslime und Musliminnen bzw. Menschen arabischer Herkunft werden, vor allem dann, wenn sie politisch mitgestalten wollen, als ,,Gefahr für die Demokratie” verteufelt. Das chauvinistische Vorgehen gegen Muslim:innen, wird zugleich genutzt um die demokratischen Rechte oppositioneller Kräfte, einzuschränken. So gehen sie gegen jene, die in der Tradition des Antifaschismus stehen und gegen den Völkermord an den Palästinenserinnen auftreten, mit Repression vor, delegitimieren und kriminalisieren die Bewegung.
Kritikerinnen und Kritiker, Menschenrechts- und Friedensaktivist:innen werden durch diese Operation und die verdrehte und (wie in Deutschland) zur Staatsraison pervertierten Erinnerungskultur, in die Nähe des Nationalsozialismus und Antisemitismus gerückt. Der Antifaschismus und angebliche „Kampf gegen rechts“ wird damit nicht nur für den israelischen Völkermord in Dienst genommen, sondern um überhaupt die Grundrechte auszuhebeln. Öffentliche Kundgebungen werden verboten und untersagt, Uni-Camps wurden geräumt, politische Slogans kriminalisiert, Konten gesperrt usw. Das passiert nicht nur in Österreich, sondern weltweit.
Es ist daher unsere Aufgabe und ein Ziel des Kongresses, den Antifaschismus als internationalistische, antiimperialistische, antirassistische Strömung erneut in Stellung zu bringen - gegen seine Pervertierung, die sich in der Unterstützung der westlichen Staaten mit Israel und der Repression gegen Menschenrechtsaktivist:innen äußert.
Antifaschismus ist Antizionismus: Über die Aneignung des Antifaschismus zur Legitimation des Völkermords
Mauthausen Schwur, 16.5.1945
"Es öffnen sich die Tore eines der schwersten und blutigsten Lager: des Lagers Mauthausen. Nach allen Himmelsrichtungen werden wir in freie und vom Faschismus befreite Länder zurückkehren. Die befreiten Häftlinge – denen noch gestern der Tod aus den Händen der Henker der nazistischen Bestie drohte – danken aus tiefstem Herzen den siegreichen alliierten Nationen für die Befreiung und grüßen alle Völker mit dem Rufe der wiedererlangten Freiheit.
Der vieljährige Aufenthalt im Lager hat in uns das Verständnis für die Werte einer Verbrüderung der Völker vertieft. Treu diesen Idealen schwören wir, solidarisch und im gemeinsamen Einverständnis, den weiteren Kampf gegen Imperialismus und nationale Verhetzung zu führen. So, wie die Welt durch die gemeinsame Anstrengung aller Völker von der Bedrohung durch die hitlerische Übermacht befreit wurde, so müssen wir diese erkämpfte Freiheit als das gemeinsame Gut aller Völker betrachten.
Der Friede und die Freiheit sind die Garantien des Glückes der Völker, und der Aufbau der Welt auf neuen Grundlagen sozialer und nationaler Gerechtigkeit ist der einzige Weg zur friedlichen Zusammenarbeit der Staaten und Völker. Wir wollen nach erlangter eigener Freiheit und nach Erkämpfung der Freiheit unserer Nationen die internationale Solidarität des Lagers in unserem Gedächtnis bewahren und daraus die Lehren ziehen:
Wir werden einen gemeinsamen Weg beschreiten, den Weg der unteilbaren Freiheit aller Völker, den Weg der gegenseitigen Achtung, den Weg der Zusammenarbeit am großen Werk des Aufbaues einer neuen, für alle gerechten, freien Welt. Wir werden immer gedenken, mit welch großen blutigen Opfern aller Nationen diese neue Welt erkämpft wurde.
Im Gedenken an das vergossene Blut aller Völker, im Gedenken an die Millionen, durch den Nazifaschismus gemordeten Brüder geloben wir, dass wir diesen Weg nie verlassen werden. Auf den sicheren Grundlagen internationaler Gemeinschaft wollen wir das schönste Denkmal, das wir den gefallenen Soldaten der Freiheit setzen können, errichten:
DIE WELT DES FREIEN MENSCHEN.
Wir wenden uns an die ganze Welt mit dem Ruf: Helft uns bei dieser Arbeit!
Es lebe die internationale Solidarität!
Es lebe die Freiheit!"

,,Jedes Jahr beginnt die Internationale Befreiungsfeier mit der Verlesung des Mauthausen Schwurs in mehr als 20 verschiedenen Sprachen – an einem Ort wie dem ehemaligen KZ Mauthausen,
wo von 1938 bis 1945 Deutsch die einzig erlaubte Sprache war,
setzten wir damit ein besonders starkes Zeichen der Internationalität."
Mehr unter https://www.mkoe.at


Nachgestellte Szene vom ersten Eintreffen amerikanischer Soldaten in Mauthausen, vermutlich 7. Mai 1945 (Foto: US National Archives and Records Administration)
Erster Kongress zum jüdischen Antizionismus
Organisiert vom Verein "Für Demokratie und Menschenrechte in Palästina"
ZVR: 1213260151
info@juedisch-antizionistisch.at
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